Titelthema //

05.11.2019

Wiederentdeckte Terroirs und neue Nachhaltigkeit

Eine grundlegende Revolution erfasst den spanischen Weinbau

Spaniens Weinsektor hat in den vergangenen Jahrzehnten einen qualitativen Aufstieg ohnegleichen erfahren und ist auf so gut wie allen wichtigen Exportmärkten erfolgreich. Die gelungene Mischung aus Zugänglichkeit, Kontinuität und grandiosem Preis-Leistungs-Verhältnis gepaart mit hervorragender Güte hat dem Weinland große Anerkennung verschafft. Doch nun ist der Generationenwechsel in vollem Gange. Mehr Individualität, mehr Unternehmungsgeist und Experimentierfreude sind gefragt. Präzision und Eigenständigkeit und Nachhaltigkeit rangieren oft vor den kommerziellen Aspekten. Die jungen Weinprofis stoßen neue Türen auf, und nichts ist mehr so, wie es vorher war.

Lust auf Neues – unbekannte Standorte und alternative Wege der Weinbereitung

Spaniens Weinszene ist nicht wiederzuerkennen. Selbst eingefleischte Spanienkenner können der momentanen Entwicklung nur noch mit Mühe folgen, und kein Jahr vergeht, ohne dass neue Standorte beziehungsweise neue Terroirs von sich reden machen. Die aktuellen Weinkünstler fühlen sich keinem Herkunftsgebiet mehr verpflichtet und dringen auch an Orte vor, die zuvor komplett in Vergessenheit geraten waren. Altgediente Önologen reiben sich die Augen und müssen feststellen, dass Spaniens Weinvergangenheit wohl wesentlich vielfältiger war, als sie es sich je hätten vorstellen können. Und genau diese Historie rollt die aktuelle Generation von Weinmachern wieder auf. Die spanischen Nachwuchswinzer haben das nationale Weingeschehen in einem Jahrzehnt stärker verändert, als es die Vorgängergeneration in den fünfzig Jahren davor vermocht hat. Überraschend fallen nicht nur die wiederentdeckten Terruños aus, welche Parzelle für Parzelle freigelegt und wieder urbar gemacht werden. Auch die Arbeiten im Keller zeigen sich von angestaubten Konventionen befreit und dienen in erster Linie einem Ziel, nämlich unter den vorgefundenen Rahmenbedingungen präzise und individuell attraktive Weine zu generieren. Lästiger Purismus ist dabei verpönt, erlaubt ist, was gefällt. Wichtig für das Selbstverständnis der neuen Winzer ist es, ein kohärentes, nachvollziehbares und nachhaltiges Weinkonzept zu entwickeln.

Dem Diktat entflohen

Eine Grundidee scheint die meisten dieser jungen Weinabenteurer zu einen. Man akzeptiert, was man vorfindet und versucht nicht, etwas herauszuholen, was nicht mit natürlichen Ressourcen zu leisten ist. So wird nicht nur der Grund und Boden in seiner natürlichen Beschaffenheit erhalten, sondern es werden auch der Weinbereitung keine technischen Extravaganzen abverlangt. Im Grunde aber sind die Neuerungen nicht spektakulär. Die jungen Winzer arbeiten nur unbelasteter, natürlicher und in puncto Terroir in vieler Hinsicht präziser. Den weinbaulichen Konventionen ist man längst enteilt, und auch der Wirtschaftlichkeit wird nicht mehr unbedacht gehuldigt. Spaniens Erneuerer nutzen althergebrachtes Wissen, interpretieren indes die Traditionen selektiv und auf neue Art und Weise.

Altes Weinland – neue Crus

Galicien ist zu einem Zentrum der weinbaulichen Neuorientierung geworden. Dies verwundert kaum, denn die landschaftliche Vielfalt dieser klimatisch gemäßigten Region ist enorm und wird schon seit Jahrtausenden für den Weinbau genutzt. Allerorten finden sich alte Lagen, die stellenweise nur noch extensiv genutzt wurden. Nun nimmt man sich dieser Parzellen an, was zu einer Flut von neuen aufregenden Terroirweinen in der Region geführt hat. Einer der Protagonisten ist Attis, der schon mit seinem im kühlen und bewegten Atlantikwasser gereiften Albariño Attis Mar von sich reden gemacht hat. Für viele Kenner dieser Sorte ist hingegen Attis Embaixador der echte Star des Portfolios. Bereitet unter der Führung des französischen Weinmachers Jean François Hebrard, reift der aus einer 0,6-Hektar-Parzelle stammende Wein in einem Granittank. Ganz anders agiert Silvia Prieto von Nanclares y Prieto mit ihrem aus der Lage La Mina stammenden Albariño. Fast elf Monate reift der Wein in einer 250-Liter-Amphore und eröffnet dem Liebhaber galicischer Spitzengewächse eine ganz und gar aparte Interpretation der nordwestiberischen Edeltraube. Körniges Mundgefühl, subtile Erdigkeit und eine lange nachhallende Säurefrische bestimmen diesen großen weißen Galicier. Sicherlich sind die Rías Baixas als Gebiet durchaus bekannt. Weniger geläufig ist selbst Kennern indes die enorme Vielfalt der Spitzenstandorte. Große Gewächse entstehen auf Dünen wie der Vorzeigewein Finca A Pedreira von Manuel Moldes oder aus uralten Pergolen wie einige der Kreationen von Eulogio Pomares, dem Großmeister des postmodernen Albariño. Und eine Kuriosität am Rande. Alte Parzellen im Salnés-Tal zählen zu den teuersten Lagen Südeuropas. Denn Grund und Boden ist den Galiciern heilig, was es fast unmöglich macht, hochwertige Weinberge zu erwerben. Zu einem El Dorado galicischer Neuentdeckungen hat sich die kleine Appellation Ribeira Sacra entwickelt. Das heilige Ufer liegt fernab der großen Verkehrsadern, und auch der Pilgerstrom des Jakobswegs tangiert das Geschehen in Galiciens einzigem Rotweinanbaugebiet in keiner Weise. Und trotz oder gerade aufgrund der abgeschiedenen Lage sind in den verschiedenen Bereichen der DOP einige der interessantesten Weinmacher Spaniens aktiv. Der schon erwähnte Önologe Eulogio Pomares hat die mitunter steil abfallenden Weinberge mit ihren kargen Schiefer-Granit-Terroirs zum Ziel seines ersten Projektes abseits des Albariños gemacht. Das besondere Profil der Mencía mit ihrem ausgesprochen reifen und rotbeerigen Fruchtausdruck, eingebettet in einen straff-frischen Kräuterrahmen, hat es dem galicischen Weinmacheridol besonders angetan. Um sich eine Vorstellung von der fast schon verwunschenen Situation der Erzeugerstandorte zu machen, genügt ein Besuch bei Pedro Guimarró. Sein kleiner, in einem Nadelwald versteckter Keller birgt eine Fülle önologischer Überraschungen. Der Tüftler hat mit seinen puristischen Mencías auf überzeugende Art kernige Eleganz und mineralische Frische unter einen Hut gebracht. Weltstars wie Dirk van der Niepoort schätzen diesen kompromisslosen Stil und arbeiten mit dem „Weinhandwerker“, wie er sich selbst gerne bezeichnet, zusammen. Es verlangt beim ersten Besuch trotz moderner Navigationssysteme in der Regel mehrere Anläufe, um den Wirkungsort von Pedro ausfindig zu machen. Die Namen seiner Gewächse hingegen zieren inzwischen Weinkarten auf der ganzen Welt.

Mencía und Begleitung – eine wundersame Entdeckergeschichte aus dem Süden Leóns

Eigentlich glaubte man ja alles zu kennen in Spaniens Vorzeigeregion Kastilien und León. Doch dann trat ein erfolgreicher IT-Unternehmer auf die Bühne der nördlichen Meseta und präsentierte ein Projekt, das selbst erfahrene Spanienprofis verblüffte. Nahe dem Dorf seiner Vorfahren begann Miguel Ángel Alonso mit seiner Frau und Partnerin María José Galera zunächst mit der Instandsetzung sehr alter Hochlagen, die sich teilweise über Goldfördergelände aus der Römerzeit hinweg ziehen. Poröses Urgestein mit hohem Wasseraufkommen bietet die Basis für karge Sandböden, die völlig frei von jeglicher Kontaminierung seit Jahrzehnten nicht mehr bestellt wurden. Neben der Mencía finden sich Prieto Picudo, Alicante Bouschet, Godello, Palomino und andere Sorten des kastilischen Nordens verstreut über alte Terrassen und durchsetzt mit einer unberührten heimischen Flora. Der Reichtum an unterirdischen Quellen sowie das aufsehenerregende Ergebnis einer Untersuchung durch ein kalifornisches Institut, das dem überraschend wasserreichen Terroir um den Weiler Herreros de Jamuz eine einmalig komplexe Bodendiversität bescheinigte, bestätigen die geglückte Namensgebung „Fuentes del Silencio“. Unter der Leitung der jungen, aber bereits sehr erfahrenen Weinmacherin Marta Ramas entstand Schritt für Schritt ein kleine, aber feine Kollektion von vielschichtigen Tintos, die in ihrer weichen und doch von mineralischer Energie durchzogenen Art eine Sonderstellung unter den Weinen der kastilisch-leonesischen Meseta einnehmen.

Valencia profiliert sich

Einst galt Valencia als Lieferant für exzellente Moscatel-Gewächse und Heimat der berühmten Deckweinsorte Bobal. Hochwertige Terroirs wurden anderen Herkünften weiter im Norden zugeordnet. Dies hat sich grundlegend geändert. Nicht nur das Bobal-Land Utiel-Requena hat sich vom Ruf der Mittelmäßigkeit befreien können. Auch mit anderen Zentren hochwertiger Weinbereitung kann Valencia inzwischen punkten. Nachdem zunächst das Aforins-Tal nach und nach für Weltklasse-Monastrells bekannt wurde, engagieren sich junge Weinmacher auch an anderen Orten mit neuen Initiativen, darunter im Alto Turia. Der Name deutet es an, doch wie hoch es tatsächlich geht, überrascht dann doch. In der Gegend des Dorfes Alpuente trifft man auf Weinberge in 1.000 Metern Höhe, und dort hat sich mit Bodegas Baldovar ein gänzlich neues Weinprojekt angesiedelt. Der Norden Valencias war als Genossenschaftsland bekannt und dann in Vergessenheit geraten. Weinberge wurden eliminiert und durch Mandelbäume ersetzt. Doch die schiere Höhe des Terroirs war für eine Gruppe von Weinunternehmern Grund genug, einen Neustart zu wagen. Unter der Leitung des Weinmachers Jordi Vallés spezialisierte sich die kleine Kellerei auch auf die Bereitung von hochwertigen Weinen aus der Merseguera-Traube. Auf Kalksediment- und Sandböden erbringt die Sorte auf den kargen Hochlandböden erstaunlich filigran-feinwürzige Weine. Das Baldovar-Team hat dabei das Kunststück vollbracht, einen intensiven Blanco mit nur 11 Volumenprozent in die Flasche zu bringen. Ein guter Grund, sich aus dem Fenster zu lehnen und Cañada París Merseguera 2018 als weltweit einzigartige Qualität aus dieser Sorte zu bezeichnen. Ausgebaut wurde dieser feine Ausnahme-Wein in Stahl, großem Holz und in der Amphore. Der Verzicht auf Reinzuchthefen oder Enzyme versteht sich von selbst. Es ist zweifelsohne nur eine Frage der Zeit, bis sich andere junge Talente für diesen abgelegenen, kontinentalen Bereich der Appellation Valencia interessieren werden.

Apropos Amphoren: Die Gärbehälter aus Ton haben eine lange Tradition im Land und wurden über viele Jahrhunderte im großen Stil eingesetzt. Nachdem sie erst in den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts verschwanden, erleben sie vor allem in Ostspanien eine bedeutende Renaissance. Bei den Monastrell-Künstlern aus dem valencianischen Aforins-Tal wie Celler del Roure oder Casa Los Frailes, wird die Tinaja wieder fester Bestandteil der Kellerarbeit. Und wenn keine Gefäße aus Ton, dann kommen Betoneier zum Einsatz. Rafael Cambra wollte die subtile Strahlkraft seines neuen Weins aus alten levantinischen Rotweinsorten nicht durch Holz beeinträchtigen und wählte für seinen Casa Bosca diese Ausbauart. Auch Javi Revert setzt auf Beton. Der junge Valenciano gilt als der Nachwuchsstar der Region und hat mit seinem puristischen Bobal Carmen für ein neues Verständnis dieser urlevantinischen Sorte gesorgt. Zudem ist er mit dem Micalet für den besten Weißwein Valencias verantwortlich.

Die Avantgarde des Zentralgebirges und andere Weinmacherpioniere

Auch wenn der Platz nicht mehr ganz neu ist, muss doch die Entwicklung, welche die Sierra de Gredos genommen hat, unbedingt erstaunen. Im Iberischen Scheidegebirge laufen nordwestlich der Hauptstadt drei kleine Appellationen ineinander, die alle im Zeichen eines dünnschaligen Klons der Garnacha Tinta stehen. Im Bereich San Martín de Valdeiglesias der Herkunftsbezeichnung Vinos de Madrid, in Méntrida und natürlich in der neuen DOP Cebreros auf kastilischer Seite drängen sich geradezu die Erneuerer des spanischen Weinbaus. Geadelt mit internationalen Höchstbewertungen haben Galionsfiguren wie Fernando García von Bodega Marañones, Marc Isart von Bernabeleva oder Dani Landi gezeigt, dass großer spanischer Rotwein auch grazil und schlank sein kann und keinen Barriqueausbau benötigt. In kürzester Zeit sind andere Winzer wie Daniel Ramos aus Cebreros aus dem Schatten der drei Superstars getreten. Nicht weniger als sechs Einzellagen zieren das Portfolio des in Australien geborenen Winzers, und nicht einer dieser Grand Crus hat spürbaren Kontakt mit dem Barrique gehabt. Die Sierra de Gredos hat wohl wie kein anderer Standort den Weg für den spanischen Weinmachernachwuchs geebnet. Namen wie Alvar de Dios (Toro), Carlota Allen (Arribes) oder Fernando Mora (Campo de Borja) sind da nur ein Teil einer Liste von zukünftigen Topwinzern, die kontinuierlich anwächst.

Unbekanntes im Schatten der großen Namen

Wer glaubt, gerade extreme Abgeschiedenheit wäre ein Alleinstellungsmerkmal für wiederentdeckte Terroirs, der liegt falsch. Auch die großen Renommier-Appellationen weisen versteckte Plätze auf, die lange unter dem Radar geblieben sind. Man schaue nur auf den Ebro, um festzustellen, dass viele versteckte Lagen an den Rändern der DOCa Rioja erst in den vergangenen Jahren wieder wahrgenommen werden. Die Montes Obarenes im Hinterland von Haro haben erst durch den Erzeuger Gómez Cruzado wieder den Protagonisten erhalten, der dieses Terroir auf dem Etikett seines gleichnamigen Premium-Blancos herausgestellt hat. Und für die Restaurierung so manch verlorener Lage am Fuße der Sierra Cantabria haben sich erst mutige Terroir-Winzer zu Wort melden müssen, welche die Vision hatten und natürlich die nötige Energie aufbrachten, um diese alten Weinberge wieder in eine geregelte Produktion zurückzuführen. Besonders zwei Erzeuger haben sich in dieser Hinsicht verdient gemacht. Melanie Hickman und David Sampedro haben mit ihrem Bodegas-Bhilar-Projekt Maßstäbe für höchst individuell interpretierten Terroir-Rioja gesetzt und die Gebrüder Blanco von Artuke mit der Revitalisierung von Kleinstparzellen mit höchst schwierigen Anbaubedingungen. Den Vorwurf, die Weine würden nicht nach Rioja schmecken, kann man getrost unter den Tisch fallen lassen, denn was die beiden Kleinerzeuger an Profilschärfung für ein zukünftiges besseres Verständnis von Terroir in der Rioja leisten, ist nur schwer in Worte zu fassen. Jedem Avantgarde-Fan sei deshalb geraten, einmal den weißen Bhilar Finca La Revilla oder den roten Artuke Finca de los Locos zu verkosten, um diese extrem komplexe, aparte und tiefgründige neue Dimension des Rioja erriechen und erschmecken zu können.

Nicht anders sieht es am Duero aus. Dort, ganz im Osten der Ribera del Duero, haben jahrelang verschiedene Weinmacherinnen und Weinmacher Großes geleistet und sind doch nicht gebührend wahrgenommen worden. Jetzt, da der Franzose Bertrand Sourdais mit seinen beiden Parzellen-Gewächsen La Mata und La Diva nicht nur mit Punkten überschüttet wird, sondern auch preislich in die Gruppe der zehn preisintensivsten Weine Spaniens vorgestoßen ist, blickt so mancher Ribera-Kenner verwundert flussaufwärts. Immerhin gibt es in dem lange Zeit höchst unpopulären Hochland-Ostzipfel der DOP inzwischen genug Erzeuger, dass ein kleiner Verband entstehen soll. Ein Zusammenschluss der Abenteurer, die sich den extremen Witterungsbedingungen, den kargen Erträgen und der Handarbeit in den vielen kleinen Parzellen mit zunehmendem Erfolg stellen. Ana Carazo ist eine davon. Die junge Önologin entreißt viele Miniweinberge dem Vergessen und bewahrt sie so vor ihrem sicheren Ende, baut die Böden wieder auf und aktiviert die vielen alten Stöcke mit unermüdlicher Pflege. Ihr Tinto La Loba ist das Paradebeispiel eines glasklaren, puristischen Riberas mit all seinen Ecken und Kanten. Nicht nur kleine, ins Abseits geratene Plätze, sondern auch die prominenten Appellationen Spaniens haben mehr als ein Quäntchen unbekanntes Terroir, das in der Zukunft für Großes bestimmt ist.

Bodega-Porträts //



Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.