Aus den Regionen //

18.05.2021

Die Magie der kleinen Dimensionen

Galicien und seine komplexe Weinbauszene

Noch keine 30 Jahre ist es her, da galt Galicien – zumindest international gesehen – noch als nahezu weißer Fleck auf Spaniens Qualitätsweinkarte. Und selbst viele Spanier hatten nur ein eher verschwommenes Bild von der abgelegenen Region und ihren Weinen im oberen Nordwesten des Landes.

Abgesehen von der spektakulären Küstenlinie, die schon immer Touristen vor allem aus Madrid angelockt hatte, blieb das galicische Inland über lange Zeit ein geheimnisvoller, schwer zugänglicher und von Mythen und Legenden durchwobener Ort. Und trotz der Wiederentdeckung des Jakobsweges und der damit verbundenen touristischen Dynamik, die mit unverhoffter Wucht über die Galicier hereingebrochen ist, hat der grüne Nordwesten Spaniens seine Aura als einer der letzten unverfälschten Sehnsuchtsorte Südeuropas bis heute bewahren können. Nirgendwo sonst ist diese Magie so greifbar und klar nachzuvollziehen, wie in der subtilen Renaissance des galicischen Weinbaus.

Das Wiedererstarken der galicischen Weinszene ist eine Erfolgsgeschichte ganz eigener Art. Sie ist weder begleitet von spektakulären Großinvestitionen noch dem Engagement großer nationaler Weinakteure. Von einem vorgezeichneten Weg kann im Grunde keine Rede sein. Vielmehr könnte man es als schrittweisen Prozess der Einsicht und des wachsenden Vertrauens in die eigenen Gegebenheiten beschreiben. Und selbstredend seine umsichtige und intelligente Umsetzung in ein faszinierend kleinteiliges Weinuniversum von beeindruckend autochthoner Kraft. Die Erkenntnis, dass sich in Galicien etwas Außergewöhnliches abspielt, nehmen nicht nur die Spanier selbst wahr. Das Echo auf die kreative Leistung der vielen kleinen und mittleren Betriebe, das durch die internationale Fachpresse rollt, ist enorm. Besonders beeindruckend dabei ist die präzise Selbstverständlichkeit, mit der die vielen neuen Bewunderer galicischer Gewächse die oft schwer auszusprechenden Namen der Rebsorten und Orte assimiliert haben. Schon dies zeigt, wie ernst das Potenzial des grünen Weinparadieses überall genommen wird.

 

Fünfmal Wein und einmal Likör und Destillate

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Die Destillationsmethode „alambique“ ist die traditionellste und herkömmlichste Methode, mit der in Galicien Liköre hergestellt werden.
©CR Aguardientes y Licores Tradicionales de Galicia

 

Fünf Appellationen sind es, die die Geschicke des galicischen Weinbaus lenken, sowie eine geschützte Herkunftsbezeichnung für Destillate und Liköre, die auf der Basis dort heimischer Trauben entstehen. Galicische Brennkunst hat in Spanien einen legendären Ruf, und der Orujo de Galicia, das berühmte Trester-Destillat der Region, wird als weiße Qualität ebenso angeboten wie als Orujo de Galicia Envejecido mit einem Mindestausbau von zwölf Monaten im Holz.

 

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Fünf Destillate fallen unter die geografische Herkunftsbezeichnung Aguardientes y Licores Tradicionales de Galicia: Aguardiente de Hierbas de Galicia, Orujo de Galicia envejecido, Orujo de Galicia, Licor de Hierbas de Galicia und Licor Café de Galicia (v.l.n.r.).
©CR Aguardientes y Licores Tradicionales de Galicia

 

Klassiker sind natürlich auch die galicischen Kaffee- und Kräuterliköre mit jeweils eigener Indicación Geográfica. Eine stärkere Kräutervariante wird ebenfalls geschützt und nennt sich Aguardiente de Hierbas de Galicia und liegt mit einem Minimum von 37,5 Prozentvolumen deutlich über der Likörvariante. Im Zuckerbereich sind für beide Produkte 100 Gramm pro Liter als Untergrenze vorgeschrieben.

 

6RB XURXO LOBATO CRDO RIAS BAIXAS.CAMBADOS

In Cambados treffen die Weinberge der DOP Rías Baixas unmittelbar auf das Meer. Das schenkt der Albariño ihre Frische
©Xurxo Lobato/CRDO Rías Baixas

 

Unter den Appellationen für Wein ist sicherlich die berühmte Albariño-DOP Rías Baixas im Südwesten der Region am bekanntesten. Sie ist inzwischen auch einem breiteren Publikum auf den internationalen Märkten geläufig, nachdem die Weine in Spanien selbst große Erfolge feiern konnten. Das dienstälteste unter den Qualitätsweingebieten ist indes Ribeiro mit ihrem Übergangsklima, etwa 45 Kilometer von der Küste entfernt und in ähnlichem Maße von Weißwein dominiert. Als östliche Pforte nach Galicien fungiert dagegen das Anbaugebiet Valdeorras, in dem der Anteil roter Trauben deutlich steigt, weit übertroffen allerdings von der galicischen Mencía-Hochburg Ribeira Sacra, wo über drei Viertel der Fläche mit roten Trauben bestockt sind. Deutlich kontinentaler präsentiert sich dagegen die an León und Portugal grenzende kleine DOP Monterrei, in der die Weißweinproduktion mit 70 Prozent wieder klar überwiegt. Um diesen sechs galicischen Appellationen mit ihrer ganzen Vielfalt eine optimale Plattform für die internationale Promotionsarbeit zu geben, entstand im vergangenen Jahr in Zusammenarbeit mit dem Galicischen Institut für Wirtschaftsförderung (IGAPE) die Asociación de Consejo Reguladores Vitivinícolas Gallegos y Indicaciones Geográficas de Aguardientes y Licores Tradicionales de Galicia.

 

Wilde Küsten und kontrastreiches Inland

9RB XURXO LOBATO CRDO RIAS BAIXAS .O ROSAL

Die DOP Rías Baixas steht für wilde und gemäßigte Wetterkomponenten, karge mineralische Böden und üppigste Vegetation, wie hier in der Subzone O Rosal.
©Xurxo Lobato/CRDO Rías Baixa
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Es sind mehrere Faktoren, die die Aufmerksamkeit erklären, die der galicischen Weinbau-Renaissance zuteil wird, und sie zu etwas Besonderem machen. Entscheidend ist zunächst die Struktur des Sektors, die geprägt ist von einer Atomisierung der Flächen. Minifundien sind die Regel, größere Flächen eher die Ausnahme. Alleine in Rías Baixas werden über 22.000 Parzellen bearbeitet, wobei in den Anbaugebieten Ribeira Sacra und Valdeorras noch ein Faktor hinzukommt: die Weinberge sind oftmals schwer zugänglich und noch schwerer zu bearbeiten, da in beiden DOPs gebirgiges Gelände vorherrscht. Ergänzend muss natürlich an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass die Kleinteiligkeit der Anbaugebiete eine ungeheure Vielfalt an Bodentypen aufweist, die der Winzer auf den sehr beschränkten Flächen präzise herausarbeiten kann. Ein weiterer Punkt sind die klimatischen Rahmenbedingungen, die von kühl bis gemäßigt reichen und die deshalb von der Problematik Zentralspaniens mit lange anhaltenden Trockenperioden in der Regel abgekoppelt sind.

 

1M Castillo de 2M Monterrei Vino 3M DOMonterrei

In der DOP Monterrei verschmelzen atlantische, mediterrane und kontinentale Einflüsse. Das bringt den Weinen viel Charakter.
©CRDO Monterrei

 

Auf kleinstem Raum treffen beispielsweise im Ribeiro oder auch in Monterrei atlantische, mediterrane und sogar kontinentale Einflüsse aufeinander und lassen in einem regelrechten Kräftemessen viele unterschiedliche Mikroklima-Situationen entstehen. Gleichzeitig weist das Gebiet natürlich mit der speziellen Küstensituation eine ungezähmte Seite auf. Die berühmten Buchten, in Galicien Rías genannt, dienen dem Atlantik geradezu als Einfallschneisen und tragen den Wind, die Feuchtigkeit, aber auch die fast immer gemäßigten Temperaturen über die Rías Baixas hinweg bis tief ins galicische Inland hinein. Wilde und gemäßigte Wetterkomponenten, karge mineralische Böden und üppigste Vegetation verschmelzen hier in der Nordwestecke Spaniens zu einem einmalig facettenreichen Terroir.

 

Weiße Weltstars und rote Spezialitäten

1 D.O. Ribeiro. Botellas en Monasterio de San Clodio

Im Kloster San Clodo finden sich die Ursprünge der dienstältesten Appellation DOP Ribeiro mit ihren Qualitätsweißweine von höchster Finesse.
©CRDO Ribeiro

 

Zur besseren Orientierung bietet es sich an, die beiden kühleren Anbaugebiete Rías Baixas und Ribeiro zu einem eher atlantisch beeinflussten Block zusammenzuführen und die etwas kontinental-mediterraneren Appellationen Monterrei, Ribeira Sacra und Valdeorras gesondert zu betrachten, auch wenn dies nur einer groben Ordnung entsprechen kann. Rías Baixas steht für die absolute Dominanz der Albariño, einer Rebsorte mit verblüffend hohem und stabilen Apfelsäure-Anteil und einem enormen Aroma-Spektrum. Die Winzer und Weinmacher der knapp 4.100-Hektar-DOP haben Jahrzehnte gebraucht, um das Potenzial dieser kleinbeerigen und dickschaligen Traube auszuloten und auf die Flasche zu bringen. Verschiedene Ausbauformen, insbesondere die Reife auf der Hefe, haben die Ausdruckskraft der Albariño geadelt, und es muss klar gesagt werden, dass die Kombination aus Frische und Komplexität der Rías-Baixas-Weine in Südeuropa ihresgleichen suchen. Kontrastreicher dazu könnte sich die von einer malerischen Flusslandschaft geprägten DOP Ribeiro nicht präsentieren. In Spanien schon immer als Begleiter zu Austern und anderen Meeresfrüchten hochgeschätzt, hat das Anbaugebiet vor allem im neuen Jahrtausend einen entscheidenden Qualitätssprung vollzogen. Wenn Rías Baixas für Frische steht, beansprucht Ribeiro die Finesse für sich. Die weich-würzige weiße Hauptsorte Treixadura, oft auch im Cuvée mit anderen heimischen Sorten, präsentiert sich vor allem als finessenreicher Schmeichler mit moderater Säure. Die Spannung der Ribeiros entwickelt sich aus ihrer elegant-schlanken Art. Dass auch die begleitenden Sorten nun Spitzengewächse stellen, wie beispielsweise die Loureiro, hat dem Anbaugebiet zusätzlich Respekt verschafft. Beide Appellationen, wie kann es im postmodernen Galicien auch anders sein, glänzen nun auch im verstärkten Maße durch Lagen- und Parzellengewächse auf höchstem Niveau.

 

6 D.O. Ribeiro. Vinedos Beade

Wie vielerorts in der DOP Ribeiro treffen auch in den Weinbergen der Gemeinde Beade atlantische, mediterrane und sogar kontinentale Einflüsse aufeinander. ©CRDO Ribeiro

 

Im Detail anders, aber im Wesen absolut galicisch präsentieren sich die beiden durch Höhenzüge und tiefe Täler geprägten DOPs Ribeira Sacra und Valdeorras. Letztere zieht sich an den Flanken des Sil-Tals von Ost nach West, wobei das linke Ufer denkbar schroff ausfällt, während gegenüber welliges Hügelland ganz andere Terroirs hervorbringt.

 

V5 PAISAJE BANCALES

Natürliche Terrassen und Rampen charakterisieren die Weinberge der DOP Valdeorras am rechten Sil-Tal.
©CRDO Valdeorras

 

Höhenlagen, durchsetzt mit natürlichen Terrassen und Rampen, auf denen in seltenem Einklang Kastanien, Oliven und Reben wachsen. Das „Tal des Goldes“, wie die Übersetzung des DOP-Namens lautet, hat der Weinwelt mit den Gewächsen aus Godello eine der faszinierendsten Weißweindeckungen der letzten Jahrzehnte beschert. Fest, strukturiert, manchmal cremig, zuweilen verspielt mineralisch, vereint sie Tiefe und Harmonie wie kaum eine andere weiße Sorte Südeuropas. Dieser klimatischen Schnittstelle mit ihren spektakulären Granit-Schiefer-Terroirs am östlichen Rande Galiciens ist weinbauliche Größe vorgezeichnet.

10RS Doade

Typisch für die DOP Ribeira Sacra: Die schwindelerregenden Steillagen über dem Río Sil, deren Lesegut teilweise mit Booten über den Wasserweg in die Kellereien gelangt. 
©CRDO Ribeira Sacra

 

Noch verwinkelter, noch gebirgiger gestaltet sich indes das Anbaugebiet Ribeira Sacra mit seinen berühmten romanischen Baudenkmälern und den schwindelerregenden Steillagen über dem Río Sil, deren Lesegut teilweise mit Booten über den Wasserweg in die Kellereien gelangt. Das Anbaugebiet gleicht einem gekippten auf dem Kopf stehenden S. Das weit auseinandergezogene „heilige Ufer“ ist die Domäne der Mencía; alleine 842 Hektar der eingetragenen 1.254 Hektar Gesamtfläche entfallen auf die große rote Traube des spanischen Nordwestens. Mit ihrer filigranen und oft ausgesprochen mineralischen Art zeigen die Gewächse aus den Hang- und Terrassenlagen einen ganz eigenen Charakter. Ein Prototyp ist nicht festzumachen, sortenreine Weine sind gleichermaßen üblich wie Cuvées, in denen neben der Hauptsorte auch Brancellao, Merenzao oder Garnacha Tintorera zum Zuge kommen. Auch reife, mineralischen Godellos gelten als Spezialität. Ähnlich wie in Valdeorras verlangt der Gebirgsweinbau den Winzern alles ab, lädt aber natürlich auch gerade dazu ein, mittels sehr beschränkten Produktionen perfekte Terroir-Interpretationen zu kreieren.

 

12RS O Savinao

Das „heilige Ufer“ ist die Domäne der Mencía; alleine 842 Hektar der eingetragenen 1.254 Hektar Gesamtfläche der DOP Ribeira Sacra entfallen auf die große rote Traube.
©CRDO Ribeira Sacra

 

Zu guter Letzt bleibt der Sonderfall Monterrei zu betrachten, der sich völlig eigenständig als Übergang zwischen Léon und Galicien versteht, aber schon dem Duero-Becken zugerechnet wird. Größere Temperaturgefälle und weniger Niederschlag prägen die kleinste der galicischen DOPs. Gerade die Weißweine, gewonnen aus Dona Blanca, Godello und Treixadura, überzeugen mit viel Gaumenpräsenz und auffallender Balance. Diese konsistente Art zieht sich auch durch die Rotweine, die von der enormen Bodenvielfalt profitieren.

 

3M Vinedos DOMonterrei

Monterrei ist die kleineste der galicischen DOPs und versteht sich als Übergang zwischen Léon und Galicien. Hier gibt es größere Temperaturgefälle und weniger Niederschlag.
©CRDO Monterrei

 

Mencía, Merenzao und Garnacha Tintorera, aber auch die Bastardo glänzen typischerweise durch disziplinierte Reife und feine Würze. Schiefer und Granit sorgen für die Frische, Lehm und Steinböden für die Struktur. Monterrei steht für viel Charakter und gliedert sich perfekt ein in den Reigen der ganz eigenständigen Appellationen der Region. Galicien ist ein weinbaulicher Tausendsassa, eine Weinwundertüte im besten Sinne des Wortes, dessen volles Potenzial sich erst jetzt wirklich abzuzeichnen beginnt.

 

2M Cepa DOMonterrei

Die Gewächse in der DOP Monterrei profitieren von einer enormen Bodenvielfalt: Schiefer und Granit sorgen für die Frische, Lehm und Steinböden für die Struktur.
©CRDO Monterrei

 



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